Carl Aigner

DAS DING UND DAS BILD
Verzeigte Gegenstände in Richard Kaplenigs Bilderwelten



„…vergeblich zeigt man durch Bilder, Metaphern, Vergleiche das, was man zu sagen im Begriff ist.“
Michel Foucault

Warum ist ein Gegenstand ein Bild wert? Die Malerei von Richard Kaplenig scheint unentwegt um diese Frage zu kreisen. War es im 19. Jahrhundert die Erfindung der Photographie, die eine neue Antwort auf diese Frage gibt, indem sie sich jedweder Symbolik oder Metapher verweigert und sich erstmals als existentielle Seinsvergewisserung der Dinge konstituiert, so war es im frühen 20. Jahrhundert Marcel Duchamp, der mit seinem „Pissoir“ nicht nur die Gegenstandswelt der Massengesellschaft fokussierte, sondern den Gegenstand selbst als exklusives Bildsein begriff, welches keiner weiteren medialen Vermittlung bedarf. Die Materialbilder des 20. Jahrhunderts sind ein unablässiger Versuch, das Sein der Dinge als Bild zu begreifen.

In einer postmedialen Gesellschaft, indem sich Signifikat und Signifikant divergieren, gewinnen die Dinge als Bild eine Seinsautonomie, die sich zuerst radikal als Abstraktion äußerte und heute in einerpostabstrakten Gesellschaft als Bilderwesen situieren – als Wesen der Bilder selbst gewissermaßen. Dies erklärt teilweise auch, dass scheinbar banale Dinge – Trichter, kleine Kopfhörer, Teile eines Bürosessels, Brillen, Kabeln, Sprühdosen etc. – zu fast unerhörten Bilderhelden werden. Nichts jedoch haben sie mehr gemein mit dem Blow Up etwa der Pop-Art oder der Postmoderne der 1980er Jahre. In ihrer meist großformatigen Verbildlichung wirken sie sogar Kraft der Mischtechnik und der Strategie der Diffusionierung antimonumental.

Mit dem Hervorkommen der Photographie stellt sich nicht nur in unerhörter Weise die Frage nach der Sichtbarkeit der Welt und damit nach ihrer Gegenständlichkeit, sondern in ebensolcher Nachdrücklichkeit die Frage nach der Sichtbarkeit des Unsichtbaren der Welt. Es ist das Paradoxon des photographischen Bildes, welches im selben Ausmaß wie es Sichtbarkeit produzierte, auch Unsichtbarkeit evozierte; Hervorbringung und Entzug wurden zu wesentliche Strategien der Kunst seit der Moderne. Nicht zufällig betitelt Kaplenig seine aktuelles Projekt mit „Nebula“. In seinen Bildern stellt sich die Frage nach der Sichtbarkeit eines Gegenstandes doch in vorrangiger Weise; nicht im Hinblick auf seine bildnerische Erscheinung, sondern grundsätzlich in Bezug auf sein Sein.

Fragmentarisch sichtbare Landkarten, Buchstaben, Wörter und Zahlen ergeben in den Bildern oft ein skripturales Netzwerk, das sich ebenso immer wieder einer Lesbarkeit entzieht wie das Gegenständliche selbst. Ist dies eine bildnerische Reaktion auf die heute zunehmende immaterielle Seinsmodalität der Gegenstände? Ein Rekurs auf die wachsende Digitalität des Daseins schlechthin? Es wäre eine zu simple Vereinfachung, hier eine unmittelbare Analogie herzustellen zu versuchen. Die skripturale Matrix, die sich kontinuierlich über seine Bilder legt, verweist vielmehr auf eine komplexe Diskursivität von Gegenstand und Bild. Etwa bezüglich der Frage nach einer Verortbarkeit von Gegenständen im Spannungsfeld von Geographie (Landkarten) und Bildlichkeit (Gestus der Malerei). So rückt auch die Frage nach einer Zeigbarkeit des Gegenständlichen ins Blickfeld des Künstlers, ohne dabei in eine Ungegenständlichkeit zu verfallen. Und was ist dann der Gegenstand seiner Bild-Werke? Die Materialität der Malerei selbst? Der Diskurs der Sprache über das Werk? Welche Seinsweisen kann Malerei am Beginn des 21. Jahrhunderts noch entfalten? Es geht um die bildnerische Reflexion des Verhältnisses von Bild und Welt. Anders formuliert: es geht um die Frage der „Lesbarkeit“ der Welt Kraft Bildern angesichts einer alltäglichen Bilderflut, die uns buchstäblich zu erblinden droht.

In seinem erstaunlichen Buch „Bildverlust“ schreibt Peter Handke davon, dass der Bildverlust gleichzeitig auch Weltverlust bedeutet. Und weiter: „Es bedeutet: es gibt keine Anschauung mehr. Es bedeutet: die Wahrnehmung gleitet ab von jeder möglichen Konstellation.“ Richard Kaplenig ist sich dessen bewusst: Bildgewinnung ist für ihn Weltgewinnung. Und Weltgewinnung heißt, die Möglichkeit zu haben Anschauungen von der Welt gewinnen zu können. Malerei ist dafür ein besonderer Ort, ein besonderes künstlerisches Refugium, wenn es sich permanent der Bilderflut entzieht.

Es gilt mehr den je heute, sich der photographischen Koinzidenz von Bild und Welt zu verweigern, einem Kurzschluss also von Signifikat und Signifikant, um es semiologisch zu formulieren. Die Moderne hat mit ihrer Autonomisierung des Bilddiskurses gegenüber der Welt als eigene (Bilder-)Welt eine enorme Anstrengung unternommen, dabei allerdings den Gegenstand (also die Welt) aus den Augen verloren, um es metaphorisch zu sagen. „Im Bild erschienen Außen und Innen fusioniert zu etwas Drittem, etwas Größerem und Beständigem“, heißt es weiter bei Peter Handke. Es ist dieses Dritte, von dem der Schriftsteller spricht, dass es gilt, unentwegt zu gewinnen, wieder zu gewinnen – dies ist die Herausforderung, der sich die Malerei von Richard Kaplenig polyvalent stellt.